Potosí, der Name einer Stadt, die einst für grenzenlosen Reichtum stand, ist heute ein eindrucksvolles Zeugnis einer Vergangenheit und einer Gegenwart die geprägt ist von glitzerndem Silber, Ausbeutung und unvorstellbar harter Arbeit unter Tage. Der Cerro Rico, der „reiche Berg“, thront über der Minenstadt auf 4000 Metern als Symbol für Überflusses und die jahrhundertelange Ausbeutung. Bei unserem Besuch hatten wir die Gelegenheit, in die Tiefen des Cerro Ricos einzutauchen und mit Wilson und Pedro, zwei ehemaligen Mineros, im Rahmen einer Minentour in Potosí ,einen kurzen Einblick in die Realität der Mineros zu erhalten.

Cerro Rico – „der Berg der Menschen frisst“
Die Geschichte des Cerro Rico
Cerro Rico, das bedeutet „reicher Berg“. Er befindet sich in der Stadt Potosí im Südwesten Boliviens auf über 4000 Metern. Jahrhundertelang beherbergete der Cerro Rico die bedeutendsten Silbervorkommen der Geschichte.
Reicher Berg. Reich gemacht hat er vor allem das spanische Imperium. 1545 begann dieses mit dem Abbau der Silbervorkommen. Während der Kolonialzeit machten die Silbervorkommen Potosí zu einer der größten und reichsten Städte der Welt. Vom 16 – 18 Jahrhundert kamen 80% des Silbers auf der Welt aus den Minen des Cerro Rico.
Die Arbeitsbedingungen im Cerro Rico
Die Spanier zwangen tausende Angehörige der indigenen Bevölkerung zur Arbeit in den Minen. Aufgrund der zahlreichen Todesfälle brachte das spanische Imperium zusätzlich Millionen Sklaven aus Afrika nach Potosí. Nur wenige überlebten den Arbeitsalltag, der durch harte körperliche Arbeit, lange Schichten unter Tage und den Mangel an Sauerstoff in den über 4000 Meter hohen Minen geprägt war.
Auch in den Raffinerien starben viele Menschen aufgrund des ständigen und intensiven Kontakts mit Quecksilber. Insgesamt 8 Millionen Menschen sollen von 1545 bis 1825 in und im Zusammenhang mit der Mine ihr Leben verloren haben. „Der Berg, der Menschen frisst“ – diesen Beinamen trägt der Cerro Rico nicht ohne Grund.
Auch heute wird in den Minen weiterhin nach Silber gegraben, doch die Adern sind größtenteils erschöpft. Stattdessen werden hauptsächlich Zink und Blei gefördert. Doch die Hoffnung auf den großen Fund treibt die Männer weiter an. Auf über 4000 Metern ist die Luft dünn, in den Stollen bleibt davon kaum etwas übrig. Die Temperaturen schwanken zwischen unter null und bis zu 46 Grad. Der Mangel an ausreichender Schutzausrüstung und schlechtem Equipment ist dabei die Norm.
Kaum ein Minero wird älter als 40 Jahre. Tag für Tag sind sie dem gefährlichen Staub ausgesetzt. Die meisten sterben nach 7 bis 15 Jahren an der Quarzstaublunge.
Die Arbeitswelt der Mineros – Minentour in Potosí mit Wilson und Pedro von Big Deal Tours
Wir wollen mehr über die Minen erfahren, die so eng mit Potosí und dessen Geschichte verknüpft sind. Wilson und Pedro haben früher selbst in der Mine gearbeitet. Heute verdienen sie ihr Geld, indem sie Touristen durch die Mine führen. Für die ehemaligen Mineros ist das eine gute Alternative, wenn sie nicht mehr in der Lage sind in der Mine zu arbeiten. Unsere Schutzausrüstung besteht aus einer dünnen Stoffhose und einem dünnen Stoffhemd, Gummistiefeln sowie einem Helm mit Lampe. Atemschutzmasken gehören nicht zur Ausrüstung, diese haben wir uns vorher selbst in der Apotheke besorgt.
Der Mercado de los Mineros: Von Coca bis Dynamit

Die Minentour in Potosí beginnt am Mercado de los Mineros – dem Markt der Minenarbeiter. Für viele Mineros ist dieser morgens die erste Anlaufstelle. Neben den üblichen Obst und Gemüseständen, kann man hier alles kaufen, was für die Arbeit unter Tage benötigt wird. Von Handschuhen und Werkzeug, bis hin zu Coca und Dynamit. Es ist der einzige Markt Boliviens, auf dem legal Dynamit gekauft werden kann.
Wir kaufen Geschenke für die Mineros. Es ist nicht Pflicht, aber eine nette Geste. Wilson empfiehlt uns Coca, Handschuhe, und Softdrinks. Nur Alkohol bittet er uns nicht zu kaufen, da auch Kinder in den Minen arbeiten und er nicht möchte, dass sie an Alkohol gelangen. Alkohol, das ist in diesem Fall eine klare Flüssigkeit in einer Plastikflasche mit der Aufschrift 96 %. 1 Liter ist günstiger als eine Dose Bier und daher beliebt. Wir halten uns an Wilsons Empfehlung und kaufen zusätzlich 2 Stangen Dynamit. Diese transportiert Wilson aus Sicherheitsgründen selbst.
„Ich war 8 als ich meine erste Stange Dynamit auf dem Markt gekauft habe“, erzählt Wilson. Kinderarbeit sei verboten, aber das interessiert die wenigsten. Auch wenn heute wohl weniger Kinder in den Minen arbeiten, sind es immer noch zu viele.
Vom Gestein zum Mineral: Einblicke in die Raffinerie und das Leben der Mineros
Unsere nächster Stopp ist eine der Raffinerien, wo die Mineralien vom Gestein getrennt werden. Es ist eine schmutzige Angelegenheit. Heutzutage werden hauptsächlich Zinn und Blei aus den Gesteinsbrocken gewonnen. Silber ist selten geworden. An den Wänden klebt Lama Blut. Es soll El Tío, den Gott des Berges, milde stimmen und Schutz während der Arbeit zu erbitten.



Von dort aus geht es nun in den Berg. Der Cerro Rico ist von zahlreichen Stollen durchzogen. Er wirkt ein wenig wie ein Schweizer Käse und so soll er auch im Inneren aussehen. Vor einigen Jahren ist die Spitze des Berges um einige Meter eingesackt und musste mit ultraleichtem Zement stabilisiert werden – eine Folge des jahrhundertelangen unkontrollierten Abbaus. Als Folge hat die UNESCO Potosí und den Cerro Rico auf die Liste der bedrohten Welterbe gesetzt.

Wilson erklärt uns, dass die Mineros während der Arbeit Coca kauen. Die Cocablätter werden von den Stielen gelöst, mit Speichel befeuchtet und in die Backe geschoben, bis ein kleiner Ball entsteht. Anschließend wird etwas Natron oder Aktivkohle hinzugefügt, um die Wirkung zu verstärken. So sind die Mineros für die Arbeit im Stollen bereit. Coca soll Müdigkeit lindern und die Arbeit auf über 4000 Metern erleichtern. Der Geschmack hält etwa vier Stunden an. Sobald er nachlässt, wissen die Mineros, dass es Zeit für eine Pause ist, bevor die nächste vierstündige Schicht beginnt. Coca, Alkohol und Softdrinks helfen ihnen, die Schicht zu bewältigen – gegessen wird erst danach.
Im Inneren des Cerro Rico: Enge Stollen und ungeschriebene Regeln

Wir schalten die Lampen an und betreten den Stollen. Langsam gewöhnen sich unsere Augen an die Dunkelheit. Entlang der Wände verlaufen dicke Schläuche, die Luft für die Presslufthämmer transportieren. „Auf die Seite!“, ruft uns Wilson entgegen. Immer wieder kommen Arbeiter mit Schubkarren vorbei und transportieren Gesteinsbrocken nach draußen. Die schmalen Gänge bieten kaum Platz für zwei Personen nebeneinander. Die Arbeiter sehen aus wie Teenager. Später lese ich, dass diese Arbeiten oft von Kindern verrichtet werden. Die Orientierung verlieren wir schnell in diesem steinernen Labyrinth. Es gibt keine Karte der Stollen. „Die Karte ist in den Köpfen der Mineros“, erklärt Wilson.
Über uns funkelt es an der Decke. „Hier könnte jemand reich werden“, meint Wilson. Doch hier darf nichts abgebaut werden, da direkt darüber ein weiterer Stollen verläuft. Ein Abbau würde den Stollen zum Einsturz bringen. Wer diese Regeln aufstellt? „Niemand“, antwortet Wilson, „das weiß jeder Minero selbst.
Im Reich von El Tío: Aberglaube und Rituale unter Tage

Überall im Berg sind kleine Nischen mit gehörnten Figuren zu finden. Über Tage sind die Mineros Katholiken, aber hier unten ist das Reich von El Tío. Er herrscht über die Minen, bietet Schutz und bringt Zerstörung. El Tío ist reich geschmückt mit Luftschlangen. Um ihn herum liegen Opfergaben, die den Gott des Berges besänftigen sollen: Coca Blätter, Zigaretten und Alkohol. Wilson zündet eine Zigarette an und steckt sie Tío in den Mund. Dann reicht er uns eine kleine Flasche mit 96-prozentigem Alkohol herum. Es brennt in der Kehle. Wilson gibt das Fläschchen ein zweites Mal herum. Ich lehne dankend ab, aber Wilson bittet uns zu trinken, denn ungerade Zahlen bringen Unglück. Das gilt für die Anzahl der Schlücke Alkohol genauso wie für für Lamas, die immer wieder für gutes Glück geschlachtet werden. Es können 2, 4, 20 oder auch 40 Lamas sein, aber niemals 3, 5 oder 7. Das bringt Unglück.
Das Blut der Lamas wird an den Eingängen der Stollen, in den Raffinerien und auch in den Stollen selbst verschmiert. Es gilt als Opfergabe, die das Wohlwollen des Berggeistes sichern und Unglück abwenden soll. Es ist eine Tradition, die tief in der Kultur der Minenarbeiter verwurzelt ist.
Explosive Arbeit: Dynamit und Risiken im Cerro Rico
In einer Sackgasse bleiben wir stehen. Weiter geht es nur eine Ebene tiefer. Dort bohren zwei Männer Löcher in den Stollen und führen Dynamit ein. Dicker Staub umhüllt sie. Wilson erzählt von Unfällen und Explosionen, von giftigen Gasen, die sich in einigen Stollen ansammeln. Immer wieder hören wir Dynamit Explosionen den Berg erschüttern. Wir denken an die Plastikflaschen mit der Aufschrift „96 %“. Keine gute Kombination.
Wilson erklärt uns, wie früher das Gestein mit Hammer und Meißel abgetragen wurde. Doch nicht jeder Minero kann sich Presslufthammer und Bohrer leisten. Manche Kooperativen stellen Werkzeuge für ihre Mitglieder bereit, in anderen müssen die Mineros Schutzausrüstung und Werkzeug selbst kaufen. Die beiden Arbeiter sind fertig. Wir helfen, die Werkzeuge über einen kleinen Flaschenzug nach oben zu manövrieren. Dann werden die Zündschnüre angezündet. Wilson führt uns in einen engen, niedrigen Stollen. Dieser sei sicherer als die höheren, erklärt er. Wir kauern uns auf den Boden. Bum! Wir zählen bis zehn, während der Berg bei jeder Detonation bedrohlich wackelt. Hoffentlich ist El Tío heute milde gestimmt.
Schließlich führt uns Wilson zurück ans Tageslicht. Wir zurück in die Stadt. Hier endet unsere Minentour in Potosí. Sie hat bleibende Eindrücke hinterlassen.
Die Arbeit und Organisation der Kooperativen
Die Arbeiter sind heute vor allem in verschiedenen Kooperativen organisiert. Diese entstanden in den 1980er Jahren als Reaktion auf die Schließung staatlicher Minen und die Privatisierung des Bergbausektors. Die Gründung ermöglichte es den Arbeitern, die Kontrolle über die Mineralgewinnung zu übernehmen und ihre Gewinne selbst zu verwalten. Dabei unterscheiden sich die Kooperativen in ihrer Struktur und Organisation.
Gewinnverteilung: Einige verteilen die Gewinne gleichmäßig unter den Mitgliedern, wodurch das Risiko und die Erträge kollektiv getragen werden. In anderen Kooperativen arbeiten die Mineros eigenverantwortlicher, sodass das Einkommen direkt von ihrer individuellen Leistung und ihrem individuellen Glück abhängt, was zu Einkommensunterschieden führen kann.
Bereitstellung von Werkzeugen: Einige Kooperativen stellen Werkzeuge, Maschinen und Sprengstoffe zur Verfügung, die von den Arbeitern genutzt werden können. In anderen sind die Arbeiter selbst dafür verantwortlich, ihre Ausrüstung zu beschaffen, was zusätzliche Kosten verursacht.
Absicherung: Innerhalb der Kooperativen gibt es einen minimalen Gesundheits- und Rentenplan. Wenn ein Minenarbeiter 50 % seines Lungenvolumens verloren hat, kann er die Arbeit in der Mine niederlegen und erhält etwa 15 US-Dollar pro Monat. Nach seinem Tod wird dieser Betrag an seine Frau und Kinder weitergezahlt.
Fazit: Bleibende Eindrücke und Erkenntnisse unserer Minentour in Potosí
Die Minentour in Potosí mit Wilson und Pedro durch den Cerro Rico hat bei uns einen tiefen und bleibenden Eindruck hinterlassen. Mit eigenen Augen zu sehen, unter welchen Bedingungen die Mineros arbeiten, und in welchem Maß unser Wohlstand auf Minen wie dieser aufgebaut ist, war eine prägende, wenn auch keine einfache Erkenntnis. Die Erfahrung, selbst durch die engen Stollen zu gehen und die Dynamitexplosionen hautnah zu erleben, hat uns die Realität der Minenarbeiter nähergebracht. Die Tour informiert nicht nur, sondern hat uns auch bleibend zum Nachdenken angeregt – über die globale Ressourcengewinnung, die Opfer der Minenarbeit und unsere eigene Verantwortung.
Praktische Tipps und Informationen zur Minentour in Potosí
Achtet darauf, dass die Guides des Anbieters ehemalige Mineros sind. Dies bietet den Arbeitern eine Alternative zur Arbeit unter Tage. Zudem kennen sie die Mine, die Bedingungen und die Geschichte am Besten und pflegen ein gutes Verhältnis mit den Mineros. Wir haben unsere Tour bei Big Deal Tours gemacht, eine Empfehlung aus dem Lonely Planet und waren sehr zufrieden.
Die Tour bei Big Deal Tours kostet 150 Bolivianos pro Person, das sind umgerechnet etwa 20 €.
Die Tour ist auf Spanish und Englisch verfügbar. Wir haben die Tour mit Wilson in Englisch gemacht.
Die Tour dauert etwa 4-5 Stunden. Dabei ist man nicht die gesamte Zeit in der Mine. Die Tour beinhaltet auch die Abholung am Hotel / Hostel, die Ausstattung mit Schutzausrüstung, den Besuch des Mercado de los Mineros und einer Raffinerie sowie den eigentlichen Besuch der Mine.
Ich habe im Vorfeld oft Beiträge gelesen, in denen beschrieben wurde, dass man auf allen Vieren durch die Stollen kriechen muss. Da ich das nicht wollte, habe ich vorab per WhatsApp nachgefragt und die Antwort erhalten, dass lediglich gut begehbare Stollen besucht werden und wir maximal den Kopf einziehen müssen. Nur während der Dynamitexplosion mussten wir kurzzeitig in einen kleineren Stollen. Aber auch dort konnten wir noch geduckt laufen und wir sind lediglich zwei Meter in diesen Stollen hineingelaufen.
Man erhält eine dünne Stoffhose und ein dünnes Stoffhemd, welche über die eigenen Klamotten gezogen werden können. Zusätzlich erhält man Gummistiefel und einen Helm mit Lampe. Ein Tuch oder eine Atemschutzmaske, um sich vor dem Staub zu schützen muss selbst mitgebracht werden.
Uns wurde versichert, dass wir jeder Zeit die Möglichkeit haben die Mine zu verlassen. Da neben Wilson auch Pedro dabei war, besteht die Möglichkeit mit einem der beiden nach draußen zu gehen, während der andere die Tour mit dem Rest der Gruppe fortsetzt. Wilson hat sich zwischendurch immer wieder erkundigt, ob alles in Ordnung ist.